zu schreiben. Über Hodgkin. Und wie ich diesen Hodgkin wieder los werde. Weil mir selbst die Erzählungen von anderen bis zu einem gewissen Punkt sehr geholfen haben, zu sehen, andere schaffen das, man kann es schaffen. Bis zu einem gewissen Punkt – denn nicht jede Erzählung motiviert oder nimmt Angst. Dazu ist die Krankheit – auch wenn sie den Sechser im Lotto unter den Krebsen bedeutet – zu schwer und die Therapie doch recht aggressiv. Schreiben heißt, sich mit den Dingen, über die man schreibt, auseinanderzusetzen. Schreiben erfordert Konzentration, eine funktionierende Motorik und halbwegs Gefühl in den Fingern. Das Therapieschema für Hodgkin im fortgeschrittenen Stadium ist jedenfalls nicht unbedingt förderlich dabei. Aber es wird besser. So werden manche Phasen rückblickend erzählt. Und das ist ok.
Kategorie: Hodgkin und ich
Wer erinnert sich noch an den Duracell-Hasen? Innerlich scheint der Körper auf Hochtouren zu laufen und dabei gleichzeitig alle Energie zu verbrauchen, die sich finden lässt. Aus meinem Vorhaben, jeden Tag zu laufen (i. S. Walking), sind kleine langsame Spaziergänge geworden, für mich sind es Abschnitte eines Marathons und ich bin über jeden bewältigten Abschnitt froh. Diese Krankheit erdet. Sie demütigt. Und sie lehrt eine der überwältigendsten Emotionen: Angst.
Krebs ist einfach Scheisse.
Nach dem ersten Zyklus Chemotherapie bekomme ich eine leise Ahnung, was das heißt, Krebs bekämpfen. „Es ist eine gezielte Vergiftung des Körpers“ sagte der Notarzt vor zwei Tagen. Ich habe das verdrängt, versuche es eigentlich immer noch zu verdrängen. Die Tatsache, dass der Körper gezwungen ist an mehreren Fronten zu kämpfen. Mit dem Krebs und mit dem Gift. Ich hatte das Glück, bisher nie wirklich krank gewesen zu sein und habe das, so stelle ich jetzt erschrocken fest, nicht als Geschenk, sondern als Selbstverständlichkeit angesehen, ja, auch als eine Verpflichtung. Krank sein heißt Schwäche und Schwäche ist keine Option.
Ich hatte das Privileg, die ersten drei Infusionstage in der Tagesklinik im Bett absolvieren zu dürfen und nun weiß ich auch, warum. Vor den eigentlichen Infusionen gibt es Kochsalzlösung, Infusionsbeutel mit Medikamenten zum Nierenschutz, Kortison und gegen Übelkeit. Dann wieder Kochsalzlösung und dann die eigentliche „Therapie“. Zwei Beutel und eine größere Spritze, letztere darf nur ein Arzt verabreichen. Danach wieder Kochsalzlösung und was zum Nachspülen. „Sich aufgeschwemmt fühlen“ bekommt hier eine völlig neue Bedeutung. Und dann dieser Geruch in der Nase wenn der Port gespült wird.
„Es ist eine andere Übelkeit“ sagte mir eine Schwester in der Tagesklinik, „warten Sie nicht drauf, sie muss nicht kommen“. Aber sie kam. Tag zwei also mit Krankentransport hin und zurück. Hatte ich erwähnt, dass ich in der vierten Etage ohne Fahrstuhl wohne? Meinen höchsten Respekt an die Besatzung, die mich klaglos hochtrugen. Ich. Musste. Die. Treppe . Zu. Meiner. Wohnung. Getragen. Werden. Getragen! Vor ein paar Monaten bin ich noch auf Zweitausendern herumgestiefelt und im Januar 20 km Langlauf …
Tag 2 ging es dann also erst einmal mit Elektrolytlösungen weiter, noch mehr Flüssigkeit, noch weiter aufgeschwemmt. Tag 3 konnte ich aber schon wieder selber die Treppe herunter und hoch. An diesen beiden Tagen gibts die entspannteren Therapien. 4 Tage nur Tabletten ohne Infusionen, den Hauch von Optimismus, der sich eingestellt hatte, verdarb das Labor. Die Leukos lagen im Nullkommabereich, also prophylaktische Antibiose. Fieber messen.
Tag 8 durfte ich dann in den Sesselbereich. Rapsfeld mit Meerblick – das heißt ein Fensterplatz vor der Rapsfeldtapete im Tagesklinik-Jargon. Man kann mit laufender Infusion sogar essen, bisher hatte ich das nur skeptisch beobachtet. Nun konnte ich es selber testen. Danach noch in die Apotheke – allein laufen, das Stück vom Haus 31 zur Apotheke am Parkhaus, ohne Schwindel, neue Rezepte einlösen, Sonnenblocker kaufen – und wieder zurück. Den leichten Anfall von Optimismus dämpften dann gleich mal wieder die neuen Nebenwirkungen. Wie geht es Dir. Ich weiß nicht was ich antworten soll. Vielleicht schaffe ich morgen mal so etwas wie einen Spaziergang.
Anfangs waren die Geschichten der Anderen in Blogs, auf TikTok und Insta irgendwie tröstlich. Da gibts andere Betroffene und deren Erzählungen helfen dabei, sich eine Vorstellung davon zu machen von dem, was auf einen zukommt. Anders als Einverständniserklärungen, Aufklärungshefte, Beipackzettel, Chemopläne. Nur gibt es da ein großes Aber. Ein Beispiel. Ich las auf einem Instaaccount, der anderen Krebsbetroffenen Mut machen soll, ein wenig herum. Bis – ja bis ich auf einen Beitrag stieß, in dem es um ein Arztgespräch ging. Die Autorin schreibt sinngemäß: Die Ärztin habe ihr die gute Nachricht verkündet, es sei keine Chemotherapie nötig und die Autorin beschreibt ihre Dankbarkeit, dass ihr nun doch „das Schlimmste“ erspart bliebe.
Ich kann das sehr gut nachvollziehen. Nur: Mein Krebs kann eben nicht operiert oder bestrahlt werden, meiner lässt sich nur „weggiften“. Eben mit Chemotherapie. Sicher, es gehört zu den Bewältigungsstrategien, sich selbst immer wieder klar zu machen, es könnte alles schlimmer sein und im Grunde habe man selbst ja immer noch Glück, andere sind schlechter dran. Das Schreiben, posten, bloggen, vloggen über Krebs, das Öffentlichmachen ist am Ende ja auch „nur“ eine Bewältigungsstrategie. Vielleicht muss man sich das selbst immer wieder klar machen, damit die Erfahrungsberichte der Anderen eine Hilfe sein können. Und kein Maßstab, wie beschissen man selbst* dran ist.
*Ich, die Glück hat, weil sie sich den „besten aller Krebse“ heraussuchte (Zitat aus irgend einem der vielen Arztgespräche).
Auf einmal wird das Leben zum Wartezimmer. Ich hatte davon gelesen, der Kampf gegen den Krebs sei nicht nur ein physischer, sondern auch ein psychischer. Und das stimmt. Durch die Diagnose wird man aus der Bahn geworfen, das bisherige Leben gerät völlig aus den Fugen, aus dem bisherigen Leben herausgerissen, in ein Wartezimmer gesperrt. Es wandelt sich, das Zimmer. Mal ist es das Wartezimmer einer onkologischen Ambulanz, mal das der Chirurgie, mal das vom Hausarzt, manchmal die eigene Wohnung. Warten auf Untersuchungen, auf Arztgespräche, auf Blutabnahmen, Eingriffe und auf die Therapie. Mein ständiger Begleiter: Angst. Auf Beipackzetteln, Einverständniserklärungen, in Aufklärungsgesprächen: ständig konfrontiert mit Risiken, Komplikationen, es ist quasi alles potentiell tödlich, was ich tun muss und womit ich mich einverstanden erklären soll. Dass ich mich körperlich eigentlich ganz gesund fühle, macht es nicht einfacher. Ich muss mir immer wieder sagen: Du bist nicht gesund. Du bist krank. Gesund ist erst einmal vorbei und diese Zellen, die da so ausgetickt sind, sind eine Zeitbombe, die dich über kurz oder lang umbringt. Dabei soll man doch optimistisch bleiben, zuversichtlich. Hoffnungsvoll. Krebs macht Angst. Angst selbst vorm Hoffnung haben. Vielleicht ist es ja ein frühes Stadium – „Sie sind fortgeschritten“. Vielleicht wird es nicht die ganz aggressive Chemotherapie – „Sie werden nach dem Schema BEACopp eskaliert behandelt“. Zuversicht. Ich gäbe viel für etwas Zuversicht.
Ich habe noch nie so viel Zeit in Wartezimmern verbracht. Wartezimmer sind besondere Orte. Vor allem die in Krankenhäusern und deren Ambulanzen.
Der Wartebereich in der Ambulanz der HNO-Klinik der Uniklinik. Modern, sehr blaugrau. Unaufgeregte Geschäftigkeit, viele Untersuchungszimmer. Zuweilen bittet eine Stimme über Lautsprecher Patient*innen in den Keller. Zur Audiometrie. Eine Ärztin im Praktikum folgt ihrer Assistenzärztin auf Schritt und tritt. Trägt mit Stolz den Kittel, irgendwann wird sie auch ihre Arme nicht mehr ständig vor oder hinter sich verschränken, sondern lässig in die Tasche stecken. Es werden Termine gesucht und vereinbart. Ein News-Bildschirm einer örtlichen Tageszeitung zeigt, dass es stürmisches Wetter gibt. Ein Vater beschäftigt sich liebevoll mit seinem Sohn und widerlegt wohl so manche klassistische Zuschreibung. Ich bin dran.
Man hat noch anderes mit mir vor an diesem Tag. Ein Besuch in der Angiologie. Es könne dauern. Ich habe nichts weiter vor, sage ich, froh, dass hier alles Hand in Hand läuft. Folgen Sie bitte der schwarzen Linie in den Wartebereich. Ein Übergang zwischen zwei älteren Gebäuden, Glasfront, die Stühle aufgereiht, dazwischen Grünpflanzen.
Mitwartende anzuschauen erfordert hier eine auf Dauer unangenehme Halsdrehung. Das ist gut. Hin und wieder laufen Ärzt*innen vorbei. Zwei ältere Damen unterhalten sich, zufrieden mit der Blutabnahme, die richtig gut ausgeführt worden sein muss, „und dabei war das eine ganz junge“. Die Zeit scheint hier schneller zu vergehen, vielleicht liegt es an den Raben. Oder daran, dass man den Wind hier sehr hört, der so stark weht, dass der Gang manchmal knackende Geräusche macht. Sitzen und aus dem Fenster schauen. Warten. Ich bin dran.
Krebs. Haarausfall scheint bei den meisten Menschen das größte Problem darzustellen, Folge von Bestrahlungen oder Chemotherapie. Je mehr mir meine Diagnose bewusst wird frage ich mich, warum dreht sich alles um Haare? Die Diagnose Krebs bedeutet erst einmal einen riesigen Kontrollverlust. Der eigene Körper produziert irgendwelche Zellhaufen, die ihn auf längere Sicht, je nach Krebsform, zerstören. Ohne dass es irgend einen sicheren Anlass, einen Auslöser gäbe, ohne dass ich davon etwas wusste. Oder etwas tun kann. Es beeinflussen kann. Mit der Diagnose setzt sich etwas in Gang, worüber man keine Kontrolle hat. Man soll kämpfen. Krebs kommt nicht von außen. Der Gegner bin ich.
Es gibt wenig, was man tun kann, um wieder die Kontrolle zu bekommen. Wichtig ist das aber, um sich nicht völlig hilflos zu fühlen. Zu dem Wenigen gehört ein Friseurbesuch. Der in diesem Falle quasi zu den psychoonkologischen Therapiemethoden zählen sollte. So wie der Blog auch.
der seit sich seit Herbst, nach einer schwereren Infektion entschied, zu bleiben. Der in jeder Besprechung für pikierte Blicke sorgte, aber auch dafür, dass niemand das Beibehalten des Masketragens kommentierte. Der Husten war Begleiter einer Reise nach Rom, DER Reise nach Rom und der sich in den Bergen auf der Loipe kooperativ zeigte und ruhig blieb.
Eher unambitioniert der Besuch beim Hausarzt, der eine Röntgenuntersuchung veranlasste. Unvergesslich das Gesicht des Radiologen, der mich nach der Röntgenuntersuchung zu sich rief. Eigentlich wollte ich ja schnell wieder weg sein. Aber – da war was. Was Größeres. Also CT. Jetzt sofort. Nicht die Lunge. Gut. Aber etwas anderes, nichts Gutes jedenfalls. Ein „Hodgkin vermutlich, damit gehn Se mal schön in die Uniklinik, die kriegen das hin“. Noch nie gehört vorher. Mit dem handgeschriebenen Befund zum Hausarzt. In der Straßenbahn doch mal googeln. Hodgkin. Lymphdrüsenkrebs? Ich. Ihr spinnt.
Zurück zum Hausarzt, dort wieder raus mit einer Einweisung ins Krankenhaus. Blutuntersuchungen. Ultraschall. Noch ein CT und eine Biopsie. Eine „Stanzbiopsie“. Medizinersprache schwankt auch so ein bisschen zwischen Zuckerwatte und Vorschlaghammer. Raumforderung ist Zuckerwatte. Stanzbiopsie ist Vorschlaghammer. Im Brief der Klinik steht, Patientin sei freundlich und zugewandt gewesen. Sie stand neben sich entspricht wohl eher der Wahrheit. Das Warten beginnt. Und mit dem Warten all die gutgemeinten Wünsche und falschen Hoffnungen. Es kann doch auch gutartig sein. Kann sein, wahrscheinlicher aber ist eben Krebs. Man kann doch operieren. Nein, Lymphdrüsenkrebs ist ein Systemkrebs. Der Gewebebefund kann doch nicht so lange dauern. Doch. Kann er.
Ein paar Tage später der Termin in der onkologischen Ambulanz. Es ist Krebs. Weitere Untersuchungen stehen an. Nochmal ein Ultraschall, die Pathologen hätten doch gern einen vollständigen auffälligen Lymphknoten. Und ein PET-MRT um zu sehen, ob der Krebs sich schon breit gemacht hat. Herz und Lunge, ob sie eine Chemo verkraften.
Gelassenheit, hat man mir gesagt, ab 50 wird man gelassener. Dass ich das auf die harte Tour lernen soll, damit habe ich nicht gerechnet.