Erzählungen

Monat: Juli 2022

Wahlanalysen

können manchmal ziemlicher Blödsinn sein, da werden Wahlbeteiligung und Stimmanteile bei der Bundestagswahl mit denen bei einer Oberbürgermeisterwahl zusammengebracht und aus den Unterschieden irgendwelche Tendenzen herausgelesen.

Das Statistische Landesamt Baden-Württemberg spricht im Monatsblatt 3/2019 von einer Wahlbeteiligungshierarchie. Das heißt: Die Beteiligung an Wahlen in Deutschland unterscheidet sich zwischen den verschiedenen Wahlarten deutlich, am höchsten rangiert die Bundestagswahl, am Ende der Wahlbeteiligungskette kommen Europawahl, dann die Kommunalwahl und ganz zum Schluss die Bürgermeisterwahl. Der langhöchsten rangiert die fristige Trend verweist auf einen Rückgang insgesamt und (!) je kleiner die Gemeinde, desto höher die Wahlbeteiligung und umgekehrt. „Die niedrigsten Beteiligungsquoten werden in Städten mit 50 000 bis unter 100 000 Einwohnern (durchschnittliche Wahlbeteiligung: 36,7 %) und in Großstädten von 100 000 bis unter 500 000 Einwohnern (durchschnittliche Wahlbeteiligung: 36,1 %) gemessen.“ Ausnahme: Stuttgart.

Quelle: https://statistik-bw.de/Service/Veroeff/Monatshefte/PDF/Beitrag19_03_05.pdf…

Für Sachsen habe ich solche Erhebungen nicht gefunden, aber es ist eine Recherche wert.

Wie erklärt sich das? Grundsätzlich scheint es einen Zusammenhang zwischen der Anzahl der Kandidierenden und der Wahlbeteiligung zu wählen. Kurz gefasst: weniger Auswahl – weniger Wählende. Eine Studie zu den Bürgermeisterwahlen in Baden-Württemberg zeigte, einen Zusammenhang zwischen der Knappheit des Ergebnisses und der Wahlbeteiligung. Übersetzt: Spannung erhöht die Beteiligung. Erscheint den potentiellen Wählenden die Wahl schon entschieden, dann gehen sie nicht zur Urne. Man könnte hier weiter interpretieren: sind Wählende nicht überzeugt von den Chancen derjenigen Person, die sie aufgrund ihrer Einstellungen und Haltungen am ehesten ihre Stimme geben würden, so lassen sie es unter Umständen sein. Wahlkopplung hilft, es gibt also auch bei Wahlen Mitnahmeeffekte. Würden also Bürgermeisterwahlen (am wenigsten interessant) zeitgleich mit der Bundestagwahl (hochinteressant) stattfinden, entspräche die Wahlbeteiligung bei der Bürgermeisterwahl der Beteiligung bei der Bundestagswahl.

Auf der Individualebene zeigt sich: arme Menschen gehen seltener zur Wahl. Ein (gefühlt) gutes Einkommen geht einher mit der Zufriedenheit mit der Demokratie und wirkt sich positiv auf die Motivation aus, wählen zu gehen. Das aber hat eine gewisse Tragik.

Etwas zum Nachlesen: Walther, J. (2017). Faktoren zur Erklärung von Wahlbeteiligung und Kandidatenzahl. In: Mehrheitswahlsysteme . Springer VS, Wiesbaden.

So ganz bestätigen sich die Baden-Württemberger Erkenntnisse nicht. Europa scheint für die Dresdner Wählenden doch weit weg, dennoch lässt sich eine Wahlarthierarchie auch hier feststellen. 2024 wird sich zeigen, ob die Wahlbeteiligung auf dem Niveau von 2019 verbleibt.

Quelle: Landeshauptstadt Dresden, Kommunale Statistikstelle (Wahlen | Landeshauptstadt Dresden)

Wer regiert hier wen?

Verwaltungswissenschaft ist ein nettes Hobby. Hin und wieder stolpert man über Interessantes:

„Im Zuschnitt der Befugnisse des Gemeinderates unterscheiden sich die Gemeindeordnungen der Bundesländer nicht unerheblich. Wird ein Index der institutionellen Stärke der Ratsvertretungen gebildet, so stehen die Räte in Hessen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein vergleichsweise stark da. Sachsen und Bayern bilden bei dieser Rangfolge das Schlusslicht.“

Quelle: Holtmann, E., Rademacher, C., Reiser, M. (2017). Wer regiert, wer kontrolliert? Verteilung der Macht im kommunalen Entscheidungsdreieck von Rat, Bürgermeister und Verwaltung. In: Kommunalpolitik. Elemente der Politik. Springer VS, Wiesbaden.

Ebenfalls interessant: der Autor spricht von einer Tendenz zur „Präsidentialisierung“ von Kommunalpolitik und von einer unechten, mindestens aber schiefen Gewaltenteilung in der kommunalen Selbstverwaltung. Denn einerseits habe ein Bürgermeister (erhebliche) Eingriffsrechte im Hinblick auf die Entscheidungen des Gemeinderates – umgekehrt kann der Rat den Bürgermeister beispielsweise nicht abwählen. Insgesamt verlören die Gemeinderäte an Macht und Einfluss, wenn man die Instrumentarien und Strukturen betrachtet. In der Selbstwahrnehmung sei dies jedoch nicht so. In Befragungen habe sich ergeben, die Mitglieder von Gemeinderäten bescheinen sich selbst großen Einfluss. Die Ratsmitglieder halten sich also für einflussreicher, als sie es tatsächlich formal sind. Es gibt wohl wenig Forschung darüber, dennoch lohnte die Frage, wie dies in der Wahrnehmung der Bürger*innen sich darstellt. Betrachtet man die Wahlbeteiligung, so liegen Kommunal- und Bürgermeisterwahlen am Ende der Beteiligungskette. Nimmt man die Wahlbeteiligung als Indikator für die Wichtigkeit, so sind Stadtrat und Bürgermeister den Wähler*innen am egalsten.

An dieser Stelle könnte man schon zu ein paar Interpretationen und Hypothesen kommen. Ich lese weiter.

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