Ich finde es einfach ungerecht, daß man Vorgesetzte, die durch ihre Stellung ohnehin schon privilegiert sind, auch noch von der Forschung her stützt, mit Kursen über Menschenführung beglückt und mit entsprechenden Techniken ausrüstet, die von der Struktur her disprivilegierten Untergebenen dagegen ohne jede Hilfe läßt. Dabei ist der Umgang mit Vorgesetzten gewiß nicht einfacher als der mit Untergebenen. Gewiß kann keine wissenschaftliche Analyse verhindern, daß der Untergebene hin und wieder vor seinem Vorgesetzten Angst bekommt. Aber sie kann ihn vielleicht so weit bringen, daß er imstande ist, aus seiner Angst die richtigen Schlüsse zu ziehen. Schließlich ein letztes Wort der Einführung: Es gibt für mein Thema keine einschlägige Literatur, keine empirische Forschung. Wahrscheinlich haben Untergebene gute Gründe darüber zu schweigen, wie sie ihre Vorgesetzten behandeln. Aber: Ich hoffe, Ihnen zeigen zu können, daß es im Bereich der allgemeinen soziologischen Organisationsforschung eine Reihe von Einsichten gibt, die sich für unser Thema auswerten lassen. Mir scheint deshalb, daß ich mit diesem Thema Ihnen zugleich einen Einblick vermitteln kann in das Potential einer ziemlich abstrakt, ziemlich theoretisch ansetzenden Organisationsanalyse, und das wäre mein drittes Motiv –mein Hauptmotiv –für diesen Vortrag. (Luhmann 2016)
Luhmann, Niklas (2016): Der neue Chef. 2. Auflage. Hg. v. Jürgen Kaube. Berlin: Suhrkamp.