Beim Stichwort Bildungsgerechtigkeit bekommen Finanzpolitiker: innen meist Schnappatmung, wird im politischen Diskurs jedenfalls immer ein „mehr“ von etwas damit verbunden, am besten von allem für alle. Aber ist das tatsächlich so, geht es um mehr von allem für alle und war es jemals so?
Es gibt eine Studie, die meines Erachtens viel zu wenig Beachtung erfahren hat: „Bekommen die sozial benachteiligsten Schüler*innen die „besten“ Schulen? Eine explorative Studie über den Zusammenhang von
Schulqualität und sozialer Zusammensetzung von Schulen am Beispiel Berlins“. Möglich, dass durch die PISA-Sonderauswertung „Resilienz“ nur allzu gern die Beruhigungspille aufgegriffen wurde, es komme vor allem auf die gute soziale Mischung und ein positives Schulklima an und die Klassengrößen sowie die Ausstattung wären gar nicht so ausschlaggebend, eine bessere Ausstattung entfalte nur dann eine Wirkung, wenn sie den Lernprozess effektiv verbessert und das Gemeinschaftsgefühl stärkt. Eine Binsenweisheit, das Zauberwort heißt Didaktik.
Marcel Helbig und Kolleg: innen, deren Arbeiten ich unter anderem deshalb so schätze, weil sie den Finger in die Wunde legen, haben sich der Frage gewidmet, wie es denn um die Schulen „in benachteiligten Lagen“ bestellt ist. Schulen, in denen vorwiegend Schüler: innen lernen, deren Aufwachsensbedingungen mindestens als herausfordernd umschrieben werden können. Der Befund ist eindeutig: Aus Sicht der Schüler: innen ist auch der Schulalltag gekennzeichnet von Mangel und Unterversorgung. Krankenstände, häufige Wechsel und unbesetzte Stellen in der Lehrer: innenschaft. Die Unterrichtsabdeckung ist geringer. Zudem stellten die Autor: innen fest, dass zusätzliche Mittel für Brennpunktschulen nicht da ankommen, wo sie benötigt werden – oder sie werden nicht effizient eingesetzt oder sie reichen nicht.
Es geht also möglicherweise gar nicht um „mehr“ oder besser sondern die Frage müsste lauten: inwieweit sind Schulen mit Schüler: innen aus vorwiegend unterprivilegierten Milieus, die Schulen, die von Mittelschichtseltern und allen, die es sonst noch können, abgewählt werden, schlechter gestellt hinsichtlich der Lehrkräfte, der sächlichen Ausstattung, des Bauzustands, Schulbibliotheken? Man könnte es sogar noch deutlicher formulieren: Inwieweit unterscheiden sich diese Schulen in ihrer Qualität als Lernumgebung von anderen Schulen?
Eine kurze Recherche von Schulnetz- und Schulentwicklungsplänen deutet nicht darauf hin, dass es in Kommunen Baustrategien gibt, die systematisch Bildungsbenachteiligung im Blick haben – trotz der Anerkennung des Schulgebäudes als „drittem Pädagogen“. Im Schulnetzplan der Landeshauptstadt Erfurt findet man das Wort Bildungsgerechtigkeit beispielsweise nur zwei Mal.
Es scheint – warum auch immer – die Betrachtung schulischer Infrastruktur in Bezug auf die Qualität als Lernumgebung ein offener Punkt zu sein. Trotz der Vielzahl an Instrumentarien, einer Überfülle an Datenlagen, Berichten und Monitorings. Damit gäbe es aber einen weiteren Baustein, dem Mythos der Bildungsgerechtigkeit auf die Spur zu kommen.